Sieht man sich die Geschäftsbereiche der Siemens AG genauer an, kann man erahnen, dass Projektmanager und Projektmanagerinnen für einen großen Teil des Geschäfts und des weltweiten Umsatzes verantwortlich sind. Die große Bedeutung des Projektgeschäfts war auch der Grund dafür, dass der Konzern um das Jahr 2000 beschloss, eine eigene unternehmensweite Projektmanagent-Methode einzuführen: PM@Siemens. Wir haben uns das etwas genauer angesehen.

 

Entwicklung einer projektorientierten Organisation

Von Anfang an stand bei der Einführung von PM@Siemens neben den organisatorischen und wirtschaftlichen Zielen vor allem der Mensch im Mittelpunkt. Ziel sollte es sein, die Projektleiterinnen und Projektleiter bestmöglich für ihre Aufgabe zu qualifizieren. Die Initiative startete mit einem intensiven "Best Practice Exchange" innerhalb des Unternehmens. Bei diesem Erfahrungsaustausch gaben erfahrene Projektleiter*innen aus allen Business-Bereichen ihre Best Practices zu Protokoll, die in einer ersten Version des PM@Siemens Guide innerhalb des Unternehmens ausgerollt wurden. Ein Teil der Empfehlungen entwickelte sich später zu verpflichtenden Mindeststandards. Parallel zur Entwicklung des Regelwerks setzte Siemens ein dazu passendes Trainingsprogramm auf und führte die Projektmanagement-Zertifizierung ein. Sowohl den PM@Siemens Guide als auch die Trainings und den Zertifizierungsprozess passt das Unternehmen bis heute laufend an internationale Standards und neueste Entwicklungen wie etwa Digitalisierung und den Einsatz agiler Methoden an. 

 

Der Projektmanagementprozess bei Siemens

Der PM@Siemens Guide ist für alle Mitarbeiter*innen unternehmensweit digital verfügbar. In jeder Phase der Projektabwicklung müssen die Projektleiter*innen bestimmte Meilensteine und damit verbundene Qualitätsanforderungen erfüllen. Für alle Projekte einheitlich ist lediglich die Sales-Phase. Danach unterscheiden sich die Projektphasen je nach Projekttyp (z.B.: Serviceprojekt, Anlagenprojekt, ...), ob es sich um Kundenprojekte oder interne Projekte handelt und nach Projektkomplexität. Vor allem bei Großprojekten findet die Zusammenarbeit der Projektmitglieder meist länderübergreifend statt. 

 

Nachhaltige Personalentwicklung durch das PM-Karrieremodell

Gemeinsam mit den Projektmanagement-Standards hat Siemens einen Karrierepfad für Projektmitarbeiter*innen definiert, der gemä´ß den vier Projektkategorien mit einer Zertifizierung abschließt. Für jede Projektstufe sind die notwendigen Kompetenzen definiert: Leiter*innen kleinerer Projekte haben in der Regel einen starken technischen Hintergrund und umfangreiches Fachwissen, je höher die Komplexität im Projekt, desto stärker verändern sich die Anforderungen in Richtung Leadership, Unternehmertum und Project Management Skills. Um diesen Nachweis über das Unternehmen hinaus auch international gültig zu machen, ist die Siemens AG Österreich vor vielen Jahren eine Partnerschaft mit Projekt Management Austria (pma) eingegangen. So können die Projektmanager*innen bei Siemens die Zertifizierung kombiniert nach Siemens-internen Standards und nach pma/IPMA® Standards ablegen und bekommen dadurch zusätzlich interessante Karriereperspektiven.

 

Gemeinsam Verantwortung übernehmen

Mit PM@Siemens ist Projektmanagement bei der Siemens AG zu einer Benchmark geworden. Der interne Projektmanagementprozess mit einer gemeinsamen Sprache, einheitlichen Phasen und Meilensteinen und vor allem mit einer klar geregelten Kategorisierung der Projekte bietet allen Mitarbeiter*innen und Führungskräften weltweit Orientierung. Genaue Regelungen, wer ab wann welches Projekt leiten darf, welche Skills dafür nötig sind und wie die Projektleiter*innen die geforderten Fähigkeiten mit einer passenden Zertifizierung nachweisen können, schaffen Transparenz und einheitliche Standards. Gleichzeitig gibt die Initiative den Mitarbeiter*innen nicht nur einen Prozess vor, dem sie folgen müssen, sondern entwickelt sie zu einer Gemeinschaft hochqualifizierter Projektmanager*innen, die auf die gesammelten Erfahrungen der Community zurückgreifen, aber auch ihre eigenen Lösungen erarbeiten können. PM@Siemens hat dazu geführt, dass die Rolle der Projektmanager*innen im Konzern anerkannt wird und im Karrierepfad Berücksichtigung findet. 

 

Lessons Learned

1. Die Professionalisierung des Projektmanagements im Unternehmen ist auch ein organisatorischer Veränderungsprozess. Denn nur so wird professionelles Agieren in Projekten zu einem Teil der gelebten Unternehmenskultur. Dafür braucht es ein hochwertiges Ausbildungsangebot und einen klaren Karrierepfad für Projektmitarbeiter*innen.

2. Projektmanagement ist Erfahrungssache. Deshalb ist es wichtig, dass Projektleiter*innen Erfahrungen sammeln und innerhalb des Unternehmens weitergeben. Gute Karriereperspektiven können Projektleiter*innen in der Jobfamilie "Project Manager" halten.

3. Um ein komplexes, internationales Projekt durchzuführen, braucht es technisches Know-how, Kenntnisse in General Management und Projektmanagement, Risiko- und Chancenmanagement, Stakeholdermanagement, aber auch juristische, wirtschaftliche und finanzielle Kenntnisse sowie Kenntnisse in Kommunikation, Sprachen und Verständnis für andere Kulturen.

4. Der Fokus im Projektmanagement verlagert sich von einzelnen Projekten zunehmend auf die Organisation als Ganzes. Dabei werden Themen wie Project Management Office (PMO), Multiprojektmanagement, Projektportfoliomanagement, übergeordnetes Projekt-Controlling und Ressourcenmanagement wichtig. 

5. Die Fähigkeit, flexibel und agil zu handeln und ein Team zu steuern, wird für Projektmanager*innen immer wichtiger. Der oder die künftige Agile Leader ist neben der Rolle als Projektleiter*in auch "Coach" für das Team. Agile Leader verfügen über ein Mindset, das die Agilität des Teams unterstützt, sie kennen agile und "lean" Methoden, sind kommunikativ und offen für Neues und können auch große Unsicherheiten managen.

 

Dieser Artikel erschien in einer ausführlicheren Version zuerst im Personal Manager, Ausgabe 1/2024. Der Fachbeitrag ist hier in voller Länge abrufbar.

Mag. Brigitte Schaden

Brigitte Schaden ist Präsidentin von Projekt Management Austria (pma). Die studierte Versicherungsmathematikerin und Betriebsinformatikerin ist Inhaberin von BSConsulting und als Managementberaterin, Coach, Wirtschaftsmediatorin, Lektorin, tätig. Außerdem ist Brigitte Schaden IPMA® Assessorin, Chair von GAPPS (Global Alliance for the Project Professions), IPMA® Honorary Fellow sowie Vortragende auf Konferenzen in Brasilien, China, Indien, Korea, Südafrika, Australien, Nepal, Panama und in ganz Europa. Die ehemalige IT-Leiterin, Projektmanagerin und -auftraggeberin sowie PMO-Leiterin war außerdem Vizepräsidentin, Präsidentin und Chair der International Project Management Association, Personalleiterin und Organisationsentwicklerin.


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